Dienstag, 23. September 2008

Tranquilo und Gesellschaftskritik

So lässt sich die Woche nachdem Nationalfeiertag am Montag wohl am besten beschreiben. Ich musste zum einem sowieso nur 4 Tage „arbeiten“ bzw. Kontakte knüpfen, wie der Monat offiziell von meinem Chef beschrieben wird, und zum anderen waren das wohl so wenig Kontakte, dass ich schon gar nicht mehr weiß, wo ich überhaupt war. 

Eins weiß ich jedes sicher. Am Wochenende war ich bei Lilli. Wer unseren etwas wirren Versuch einander in San José zu finden im StudiVZ mitverfolgt hat, weiß auch, dass wir uns gefunden haben. Ich habe einfach 2 Stunden in ihrer Wohnung gewartet, während sie versucht hat San José nach mir abzusuchen, mit der Angst, dass wenn sie jetzt in Richtung Wohnung fährt, ich auf die Idee komme, in die Stadt zu fahren, um sie zu treffen. Verstanden?

Ist im Endeffekt auch egal, denn wir trafen uns schließlich bei ihr in der Wohnung und waren wiederum vereint, der Einsamkeit entronnen, um direkt einer Flasche chilenischen Rotwein in die Arme zu fallen.
Zuvor waren wir aber noch im Zentrum. Wir aßen eines der leckersten Casados*, die wir jemals versuchten, aßen ein Vanilleeis mit Schokoüberzug und schauten ein paar Straßenclowns beim Vorführen zu.
Zu Hause angekommen köpften wir dann den Roten und gaben uns der Gesellschaftskritik hin. Gegen was muss die Jugend in Deutschland eigentlich rebellieren und für was muss sie heute kämpfen? Was bringt ein 5mal jährlich neu bepflanzter Kreisel und was soll das Projekt Stuttgart 21? Sind Jugendorganisationen im allgemeinen und Jugendorganisationen von Parteien im speziellen nicht auch Organe, die frei Kritik äußern können, dies sogar sollten?
Warum gibt es in Deutschland Stadträte, die „für“ einen Vorschlag der Nazis stimmen und warum sind wir eigentlich ausgereist?
Spätestens jetzt wussten wir es wieder. Zudem erklärten wir Hartmut Mehdorn und Wolfgang Schäuble zu den gefährlichsten Machtinhabern jenseits der Spree.

Da Lilli am Sonntagmorgen jedoch arbeiten musste und der gute Chilene auch weg war, begaben wir uns dann auch zu Bette und träumten beide von einer besseren Welt.

Der Sonntag sollte dann ähnlich ereignisreich verlaufen. Damit meine ich nicht die „dreieinhalb“ Stunden Internetcafé, womit zugleich mein persönlicher Rekord gebrochen wurde, nein, es war Sonntag und bei Margharita war die Familie zu Besuch: 2 Töchter plus Ehegatten und insgesamt 4 Enkel, dazu 100 Fragen an den Deutschen.
Die habe ich auch brav beantwortet.
„Ja, in Deutschland brachen wir Ingenieure“, „es gibt eine soziale Absicherung“ , „ alles ist vieeeeel teurer“ und „Biersorten gibt es auch ganz viele“.
Denn wenn das Wort „Alemnaia“ fällt, kommt „cerveza“ gleich hinterher.

Da geht einem vereinsamten Labersack wirklich das Herz auf. Viele Menschen, viel Reden und das Beste, die 2. einheimische Spezies unter 25 Jahren, die Kontakt mit mir aufnimmt.
Es war Enkel Toni, 21 Jahre alt und Student.
Diese Gelegenheit habe ich gleich genutzt. Wenn alles so läuft, wie es mein Plan vorsieht, gehe ich morgen mit ihm zu Lilli nach San José.
Nach drei langen Wochen, endlich Land in Sicht.
Als das nicht schon genug wäre, habe ich heute in der CEUNA, der Schule in der ich montags bin, eine deutsche Austauschschülerin kennen gelernt. Die Beste ist 17 Jahre und kommt aus Bremen. Da hab ich doch gleich mal mein bestes Hochdeutsch ausgepackt, dass ich seit dem Ausreisekurs auf meiner Festplatte gespeichert habe, nö.
Jetzt sitze ich hier – 20 Uhr 13 – an meinem Laptop in der Küche, hab gerade 2 Telenovelas, die Noticias von Canal 6 und damit 5 Tote und noch mal soviel Verletzte hinter mir und befürchte, dass ich bald wieder schlafen gehe.

Was ich morgen früh machen werde steht noch in den costaricanischen Sternen geschrieben. Denn bisher hat mi jefe Don Fernando noch nie abends angerufen, wenn er meinte, es zu tun.

“Vamos a ver manana lo que va a pasar…”

Zum Schluss möchte ich den hier nicht Existenten Buchstaben “ö,ä,ü” und vor allem dem “ß” meine Ehre erweisen:

Das Ä, das Ö, das Ü
Sag’ einmal, wo bist denn dü?
Auch das Scharf-ess ist nicht da
Damit komm ich gar nicht klar.

Darum sag ich ohn’ Verdruß:
Ääääh – Ööööh – Üüüüh
Jetzt is’ Schluß. Ich muß. Tschüß und Kuss.

(Felix Gartner, 2008)



*PS: Casados = verheiratet und bezeichnet in Costa Rica eine Art Menu mit jeweils Reis mit Bohnen, Salat, meist Kochbananen und einer Beilage nach Wahl.

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